Beschreibung
Seismograph der Seele: Akram Khans Renommee als prägender Schrittmacher unserer Zeit kommt nicht von ungefähr. Es gibt wenige Choreograph:innen mit einem so feinen Gespür für die menschliche Psyche. Wenige auch, die verborgene Abgründe so gründlich ausloten wie er. Zumal Akram Khan – und das macht seine Arbeiten so besonders – den Tanz immer wieder in sehr konkreten Kontexten verortet. Sei es der erste Weltkrieg in XENOS, das babylonische Gilgamesch-Epos in Outwitting the Devil, uraufgeführt beim COLOURS-Festival 2019, oder zuletzt die geschundene Natur in der Klimakrise mit dem Jungle Book reimagined.
Nun hat der britische Choreograph und Company-Chef Akram Khan erstmals mit Gauthier Dance zusammengearbeitet ‒ die sehr intensive Kreation erstreckte sich über fast drei Spielzeiten. Der Titel des Programms Turning of Bones spielt nicht nur auf ein hauptsächlich in Madagaskar praktiziertes Ritual der Erinnerung an – Famadihana, bei dem die Menschen die eingehüllten Überreste der Vorfahren aus den Gräbern holen, um sich neu mit ihren Ahnen und ihrem Erbe zu verbinden. Sie frischen die Namen auf den Tüchern auf, tragen die Knochen über ihren Köpfen und tanzen mit ihnen. Famadihana könnte tatsächlich auch die Herangehensweise an diese Produktion bezeichnen, bei der Akram Khan in die Geschichte seiner eigenen Werke eintaucht.
Das Ausgangsmaterial bildeten fünf klassisch gewordene Produktionen, die er für sich selbst als Tänzer oder für die Akram Khan Company kreiert hatte. Sie teilen eine Botschaft: Verblendung und Arroganz lassen die Menschen im Lauf der Geschichte die immer gleichen Fehler begehen. Für Turning of Bones schöpfte Khan aus Vertical Road von 2010, dem Gruppenstück iTMOi (In the Mind of Igor), entstanden 2013 zum 100. Jubiläum von Igor Stravinskys Le Sacre du Printemps, sowie Jungle Book reimagined. Außerdem enthalten ist der frappierende „Kopftanz“ aus DESH über das Heimatland seines Vaters, Bangladesh, und das ergreifende Stück Mud of Sorrow, digital uraufgeführt im Pandemie-Winter 2021. Alle diese Elemente präsentieren sich weiterentwickelt und zugeschnitten auf das neue Gesamtgefüge von Turning of Bones.
Die emotionale Klammer schafft zum einen die Originalmusik von Aditya Prakash. Vor allem aber verbindet eine erzählerische Rahmenhandlung die Szenen zu einem neuen Ganzen. Es ist die Geschichte zweier Liebender, die auf tragische Weise mit dem Thema des Opfers und des Geopfertwerdens konfrontiert sind.
Im Gegensatz zu den aufwendigen Bühnenbildern und Settings der ursprünglichen Fassungen strebt Akram Khan für diesen Abend eine ganz andere, abstraktere Stimmung an, die den Tanz und die puren Emotionen in den Mittelpunkt rückt. Dieser kompromisslose, absolut herausfordernde Ansatz trifft bei Gauthier Dance nicht nur auf eine kongeniale Company. Auch die Probenbedingungen waren ideal. Dafür sorgte nicht zuletzt eine zweiwöchige Residenz in der wundervollen Orsolina 28 Art Foundation in Moncalvo (Piemont) unmittelbar vor der Premiere.
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